Allgemeines: Was ist eine Ausrenkung der Schulter (Luxation)?
Bei einer Ausrenkung (sog. Schulterluxation) springt die Oberarmkugel aus der Pfanne. Ausrenkungen ereignen sich in den meisten Fällen durch einen Unfall. In 90% der Fälle springt die Kugel nach vorne unten heraus. Der typische Unfallmechanismus ist eine forcierte Bewegung des Armes nach hinten oben, wie sie bei z.B. einem Sturz beim Skifahren oder beim Handballspielen vorkommt (Gegner, der den Arm nach hinten zieht).
In seltenen Fällen luxiert die Kugel nach hinten, z.B. bei einem Sturz nach vorne mit ausgestrecktem Arm. Im Rahmen eines epileptischen
Anfalles kann die Schulter ebenfalls nach hinten luxieren. Luxationen nach unten sind extrem selten.
Welche Zusatzverletzungen treten bei einer Schulter-luxation auf?
Zusatzverletzungen bei Schulterluxationen sind häufig und bestimmen massgeblich die Art der weiteren Behandlung (operativ oder nicht operativ).
Folgende Zusatzverletzungen sind möglich:
1. In den meisten Fällen werden die Bänder, die Kapsel und die Pfannenlippe, welche die Kugel in der Pfanne halten, ein- oder abgerissen (sogenannte Bankart-läsion).
2. Der Knochen der Pfanne kann v.a. am Rand abbrechen
(= ossäre Bankartläsion).
3. In seltenen Fällen kann auch zusätzlich der Oberarmknochen brechen (Luxationsfraktur der Schulter).
4. Durch das Ausrenken verhakt sich die Oberarmkugel am Pfannerand und es entsteht eine Delle (=Einbruch des Knochens) am Kopf, eine sogenannte Hill-Sachsläsion.
5. Durch das Ausrenken der Kugel kann es zu Schäden an den Nerven, die zur Schulter oder zur Hand ziehen, kommen. Dabei kann es zu Lähmungen der Schulter oder der Hand kommen. Diese bilden sich in den meisten Fällen wieder zurück. Die Dauer der Lähmung kann durchaus mehrere Wochen oder Monate betragen. In seltenen Fällen bildet sich eine Lähmung nicht mehr zurück.
6. Über den Bändern und der Kapsel liegt die sogenannte Sehnenkappe der inneren Schultermuskulatur (Rotatorenmanschette), die v.a. bei über 40-Jährigen wesentlich mitverletzt werden kann. Diese Sehnenverletzungen werden oft übersehen und können zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Schulterfunktion führen (siehe Kapitel 2.3 Risse der Rotatorenmanschette). Deshalb sollte in diesen Fällen ein MRI der Schulter zur weiteren Abklärung gemacht werden.
Diagnose der Schulterausrenkung
Unfallmechanismus, Schonhaltung und Bewegungseinschränkung der Schulter mit Veränderung der Schulterkontur sind wegweisend. Sicherheit bringen Röntgenbilder von vorne und der Seite. Diese Röntgenbilder sind auch zum Ausschluss eines Bruches des Pfannenrandes oder des Kopfes wichtig. Zur weiteren Abklärung von Zusatzverletzungen sollte bei entsprechen-dem Verdacht in den ersten 2-7 Tagen nach Reposition ein
Arthro-MRI (Magnetresonanzuntersuchung) und/oder zusätzlich ein Arthro-CT
(Computertomographie) der Schulter durchgeführt werden.
Behandlung der Luxation ohne Operation
Bei einer Luxation führt der Arzt ein Röntgenbild durch und wird dann die Schulter wieder reponieren (= einrenken). Das Einrenken gelingt manchmal mit einer Beruhigungsspritze (Sedation), sonst wird eine Kurznarkose durchgeführt. Nach der Reposition wird die Schulter entweder mit einer Schlinge oder einem Spezialkissen mit leichter Aussendrehung des Armes ruhiggestellt. Durch die Ruhigstellung können die Bänder vernarben, d.h. eine gewisse Form der Selbstheilung tritt ein. Die Dauer der Ruhigstellung ist altersabhängig: Beim 20-Jährigen beträgt diese 2 – 3 Wochen, beim 40-Jährigen nur 7 – 10 Tage. Nach der Ruhigstellungsphase wird in der Physiotherapie die Muskulatur so auftrainiert, dass die Schulter an Stabilität und Beweglichkeit gewinnt. Risikosportarten für die Schulter sollten frühestens nach 8 – 12 Wochen wieder begonnen werden.
Gelingt es trotz dieser Massnahmen nicht, die Schulter in einen stabilen Zustand zu bringen, so sollte eine operative Stabilisierung besprochen werden (siehe unten).
Behandlung der Luxation mit Operation Wann operieren? Welche Technik?
Beim Vorliegen von gewissen Zusatzverletzungen muss die Indikation zur Operation geprüft werden:
Behandlung der instabilen Schulter mit Operation
Gelingt es trotz intensiven nicht operativen Massnahmen nicht, die Schulter so zu stabilisieren, dass sie in allen Situationen funktions-tüchtig ist, so besprechen wir die Operation mit dem Patienten.
Je nach Ausmass der Schädigung der Bänder, der Lippe (Labrum) und des Knochens der Pfanne gibt es 2 verschiedene Operationsmöglichkeiten, die sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen:
Arthroskopische Stabilisierungsoperation der Schulter
Sind die Bänder oder der Pfannen-rand noch nicht zu stark geschädigt, so wird die arthroskopische Technik angewandt, indem die Bänder, die Kapsel und die Lippe am Pfannen-rand wieder fixiert werden.
Bei der arthroskopischen
Schulterstabilisierung werden 3 – 4 kleine Öffnungen von 6 – 8 mm für die Instrumente gemacht und anschliessend die Kapsel und das Labrum am Pfannenrand fixiert (meistens mit kleinen Faden Ankern). In gewissen Fällen wird die Kapsel leicht gerafft.
Arthroskopisches Bild einer Refixation der vorderen Kapsel und Bänder am Pfannenrand
Offene Stabilisierungsoperationen der Schulter
Die offene Technik kommt in 2 Situationen zur Anwendung:
In Fällen wo die Zerstörung der Kapsel so gross ist oder Nebenverletzungen vorliegen, dass sie arthroskopisch nicht behandelbar sind. Dabei wird vorne an der Schulter ein kurzer Hautschnitt gemacht.
Offene Refixation der Kapsel mit gleichzeitiger Raffung.
Nachbehandlung
Nach der Operation hat der Patient eine Schlinge für 5-6 Wochen. Der Spitalaufenthalt ist 1-3 Tage. Der Patient darf nach der Operation den Arm selbständig nach vorne anheben, jedoch nicht nach aussen drehen. Arbeiten am Computer ist nach 1-2 Tagen schon möglich. Autofahren ist 4-5 Wochen nicht erlaubt. Risikosportarten mit Verletzungsgefahr der Schulter sind nach 4-5 Monaten möglich.
Risiken der arthroskopischen/offenen Refixation der Bänder der Schulter Neben den allgemeinen Risiken einer (Schulter-) Operation ist das Risiko einer erneuten Luxation der Schulter weltweit ein grosses Diskussionsthema an Kongressen:
Dies beträgt 8-15% und ist abhängig vom Alter des Patienten (je jünger desto grösseres Risiko), den Sportarten und dem intraoperativen Zustand der Bänder und des Knochens.
Knochenblockoperationen zur Schulterstabilisierung:
Eine Knochenblockoperation zum Wiederaufbau des geschädigten Pfannenrandes der Schulter muss bei folgenden Situationen in
Betracht gezogen werden:
Es gibt z.Z. 2 häufige mögliche Techniken zum Wiederaufbau des Pfannenrandes der Schulter:
Knochenblockoperation nach Latarjet
Dabei werden 2-3cm des vorderen Anteils des Rabenschnabelfortsatzes (=Coracoid) zusammen mit einem Teil der dort ansetzenden Bänder und Sehnen abgetrennt und am vorderen Pfannenrand angeschraubt. Dadurch erfolgt eine Rekonstruktion des Pfannenrandes und gleichzeitig wirken die verbleibenden Sehnen des Rabenschnabelfortsatzes als dynamische Stabilisierung.
Knochenblockoperation nach Eden-Hybinette
Bei dieser Knochenblocktechnik wird Knochen aus dem Beckenkamm zur Rekonstruktion des Pfannenrandes entnommen und am Pfannenrand der Schulter verschraubt.
Nachbehandlung
Nach der Operation trägt der Patient eine Schlinge für 5-6 Wochen. Er darf nach der Operation die Schulter nach vorne anheben.
Autofahren ist 4-6 Wochen nicht gestattet.
Eine Physiotherapie sollte 1-2 mal pro Woche stattfinden, insbesondere zur Ergänzung der erlernten Selbstübungen.
Wir führen nach 6 und 12 Wochen ein Röntgenbild und zusätzlich nach 3 und 6 Monaten eine Computertomographie durch. Mit diesen Aufnahmen wird bestimmt, ob der Knochenblock am Pfannenrand eingewachsen ist.
Komplikationen und Erfolgsaussichten
Zug an Nerven, welche in die Schulter oder Hand laufen, mit Funktionseinbussen (Gefühls-störungen der Hand, Schwäche des Deltamuskels der Schulter) kommen in 1-3% der Fälle vor; die Funktion des Nerven erholt sich meistens wieder.
Nichteinheilen des Knochenblocks: Dies kann in 1-5% der Fälle vorkommen. Führt dies zu einer erneuten Luxation, muss eine erneute Operation vorgenommen werden. Tritt dies nach einer
Latarjetoperation auf, kann dies u.U. mit der Operation nach Eden-Hybinette gemacht werden.
Lockerung von Schrauben treten in 2- 8% der Fälle auf. In gewissen Fällen müssen diese entfernt werden.
Eine Arthrose der Schulter kann im Langzeitverlauf bei allen Schulterstabilisierungsoperationen auftreten.